ARS ARTIUM und die Welt als Schule

Das jährlich stattfindende ARS ARTIUM ist Teil des erlebnispädagogischen Bereichs der zu den tragenden Säulen der IMAGON – Freien Schule Glonntal gehört. Dank einer kurzfristig genehmigten Sondergenehmigung des bayerischen Staatsministeriums für Kultur und Kultus kann das ARS ARTIUM auch 2020 stattfinden - und zwar vom 30. September bis zum 09. Oktober 2020. Damit alles reibungslos abläuft, haben wir dazu ein umfangreiches Hygienekonzept entwickelt. 

In einem ausführlichen Interview erläutert Emanuel Hippe die Entstehungsgeschichte und die pädagogischen Hintergründe zum ARS ARTIUM:

Gleich als Erstes: Können Sie beschreiben, was das ARS ARTIUM eigentlich ist?

Herr Hippe:
Das ARS ARTIUM gehört neben dem Segeln zu den maßgeblichen Pfeilern unserer Schule, was das Lernkonzept „Die Welt als Schule“ angeht. Wir gehen dabei zehn Tage mit den Schülern/innen raus in die Natur und bauen uns unsere eigenen Dörfer mit Zelten – 2019 waren es zwei Zeltdörfer. Der Tagesablauf wird dann gestaltet durch die Mitarbeit in den verschiedenen Zünften.

So wollen wir den Schüler/innen auf eine natürliche Art – so natürlich eben, wie es in unserer heutigen Welt möglich ist – einen Raum schaffen, in dem Kunst geschehen und Begegnung stattfinden kann. Darauf beruht ja auch die Methodik Rudolf Steiners, bei der in den ersten Jahren Klassenlehrer das Klassenzimmer ganz bewusst mit Farben, Motiven und einem Tafelbild zu gestalten. So gibt es das ganze Jahr über ein bewusst gestaltetes, altersgemäßes Tafelbild, dass alle paar Wochen auf ein Thema angepasst wird.

Genauso gestalten wir auch mit dem ARS ARTIUM in der Natur einen Rahmen, der es den Schüler/innen erlaubt, Vertrauen zur Natur und ihrer Umgebung aufzubauen und sich wie zu Hause zu fühlen. So dass die Natur eben nicht als Feind erlebt wird oder man sich in der Dunkelheit fürchten muss. Wir erzählen auch abends keine Gruselgeschichten, um den Kindern Angst einzujagen oder Ähnliches.

Was genau hat es mit den Zünften auf sich?

Herr Hippe:
Während der zehn Tage organisieren die Schüler/innen sich im ARS ARTIUM in verschiedenen Zünften. Alle diese Zünfte sind entweder künstlerischer, handwerklicher oder sportlicher Natur und die Schüler können sich so ihren Stundenplan selbst gestalten.

Wie viele Zünfte gibt es denn?

Herr Hippe:
Das ist unterschiedlich, wir hatten schon bis zu 18 verschiedene Zünfte. Meistens sind aber die folgenden Teile des ARS ARTIUMS:

Bäcker-Zunft:
Diese wird von Frau Dr. Schroeder geleitet und bäckt für die gesamte Gemeinschaft Brot, sowie Kuchen und Kekse. Das Besondere an dieser Zunft ist auch, dass Frau Dr. Schroeder hier ausschließlich französisch mit den Kindern spricht.

Wirts-Zunft:
Hier lernt man, wie man ein Menü zubereitet und es serviert.

Dorf-Zunft:
Diese kümmert sich um das Wohlergehen der einzelnen Dorfbewohner und die Sicherheit des Dorfes, also das z.B. die Zelte alle stehen und gegen einen Sturm gesichert sind und so weiter.

Fackler-Zunft:
Hier werden Fackeln und Kerzen hergestellt.

Bau-Zunft bzw. auch Burgbauzunft:
Diese hat in der Vergangenheit schon ganze Burgen inklusive Zugbrücke errichtet. Hier geht es einfach darum, mit möglichst einfachen Materialien und wenig Nägeln Bauwerke zu errichten.

Drechsler-Zunft:
Diese hat eine historische Fuß-Drechslerbank und macht zum Beispiel Becher oder Kelche.

Waldläufer-Zunft:
Hier wird das Leben im Wald ohne Hilfsmittel geübt – wie z.B. Feuer nur mit Streichhölzern anzumachen, auch wenn es regnet, Spurenlesen oder Schalen / Löffel selber zu brennen.

Schreiber-Zunft:
Darin werden alte Schriften gelehrt, aber auch Dinge wie Stammbäume oder Wappen zu erstellen.

Heiler-Zunft:
Hier werden Erste Hilfe und medizinische Grundsätze vermittelt.

Weitere Zünfte sind außerdem: Schmiede-Zunft, Woll-Zunft, Holz-Zunft, Leder-Zunft oder 2019 auch erstmals eine Schmuck-Zunft.

Wie sind diese Zünfte organisiert?

Herr Hippe:
Der Ablauf in jeder Zunft ist von dem jeweiligen Schwerpunkt bestimmt. So beginnt beispielsweise die Bäcker-Zunft schon morgens um 5 Uhr mit dem Brotbacken und entsprechend früh gehen die Mitglieder abends ins Bett. Bei der Wirts-Zunft dagegen, kann es schon mal bis 21 oder 22 Uhr gehen und bis die dann im Bett sind, ist es 23 Uhr.

Wichtig bei jeder Zunft ist aber das Praktische – also das die Kinder wirklich ins Tun kommen und der Gemeinschaftsgedanke. Schließlich leben wir alle während dieser zehn Tage zusammen in der Natur. Jede Zunft führt auch über die Zeit des ARS ARTIUMS ein Meisterbuch. Darin wird einerseits festgehalten, welche Aufgaben die Zunft hatte oder was hergestellt wurde und auch, welche Schüler sich an der Zunft beteiligten.

Grundsätzlich ist jede Zunft so aufgeteilt, dass es einen Meister gibt und dann eben verschiedene Schüler/innen, die in der Zunft eine Ausbildung machen, z.B. zum Lehrling, Gesellen, Altgesellen und schließlich zum Meister. Im Meisterbuch wird auch festgehalten, welche Aufgaben die jeweilige Prüfung beinhaltet. Zusätzlich zu denen, die in der Zunft eine Ausbildung machen, gibt es auch die Tagelöhner, die mithelfen und so die Zunft erst einmal kennenlernen.

Welchen praktischen Nutzen haben die Kinder aus dieser Erfahrung?

Herr Hippe:
Nun zunächst einmal findet das, was im Meisterbuch festgehalten ist auch einen Niederschlag in den Zeugnissen. Wir haben ja Textzeugnisse und jede Ausbildung in einer Zunft erhält dort einen entsprechenden Textbeitrag. Für die Schüler/innen, die zum ersten Mal am ARS ARTIUM teilnehmen und sich erst orientieren wollen, gibt es einen allgemeinen Teil. Wir versuchen natürlich ganz klar, diese Schüler/innen dann beim zweiten Mal dahingehend anzuleiten, dass eine Ausbildung in einer Zunft beginnen.

Es ist aber auch so, dass die Ausbildung in der Zunft mit einer wirklichen, realen Prüfung verbunden ist. Die Prüfung zum Altgesellen etwa, beinhaltet das gemeinsame Übernachten mit einem Jüngeren, also einem Lehrling oder Gesellen, im Wald. Hier muss dann der Ältere Verantwortung für den Jüngeren übernehmen und Feuer machen, ein Biwak bauen und vor allem: Die Nacht in der Dunkelheit durchhalten. Natürlich ist auch hier der pädagogische Rahmen so abgesteckt, dass die Prüfung jederzeit abgebrochen werden kann.

Wie sieht die Ausbildung in einer Zunft aus?

Herr Hippe:
Wie bereits erwähnt, ist das Ziel ganz klar, dass die Schüler/innen spätestens bei ihrem zweiten ARS ARTIUM ein Ausbildungsverhältnis in einer Zunft beginnen. Dabei ist es auch hier wichtig, dass man im Laufe der Zeit in mehreren Zünften aktiv ist. So kann man beispielsweise eine Altgesellen-Prüfung in einer Zunft erst machen, wenn man in mindestens zwei weiteren Zünften Geselle ist. Eine Meisterprüfung kann man erst ab 16 Jahren machen und hierfür braucht man in einer weiteren Zunft einen Altgesellen und in zwei weiteren Zünften eine Gesellenprüfung.

So wird vermieden, dass die Schüler/innen einen Tunnelblick entwickeln und eben nur ihre Zunft sehen. Nein, die müssen mehr Erfahrung mitbringen. Wer als Meister andere anleiten will, der muss auch wissen, wie man zum Beispiel ein Zelt aufbaut oder kocht. Voraussetzung, um die Meisterprüfung ablegen zu können, ist außerdem die Absolvierung eines mindestens zweiwöchigen Praktikums in der jeweiligen Fachrichtung. Damit erhalten die Schüler/innen auch außerhalb der Schule und des ARS ARTIUMS eine praktische Erfahrung, die sie später zum Beispiel bei Bewerbungen mit angeben können.

Sind alle Schüler der Freien Schule Glonntal beim ARS ARTIUM mit dabei?

Herr Hippe:
Nein, das ARS ARTIUM findet ab der 5. Klasse statt und meistens bis zur 8. Klasse. Ab der 9. Klasse ist die Teilnahme freiwillig. Da unsere Schule aber lebendig ist, gibt es keinen fixen Teilnehmerzwang. 2019 zum Beispiel, war die 7. Klasse nicht dabei, weil der Termin für das Segeln so fiel, dass sie gerade einen Tag zurück waren, als das ARS ARTIUM startete. Und nach 2 Wochen Segeln wollten die Kinder erst einmal wieder Zeit zu Hause verbringen.

Wie viele Lehrer betreuen das ARS ARTIUM?

Herr Hippe:
Generell sind immer die Klassenlehrer der 5. bis 8. Klasse dabei, sowie zusätzlich weitere Lehrer. Meistens sind wir zwischen 8 und 12 Lehrern. Dazu kommen dann auch noch immer zahlreiche Eltern – in der Regel haben wir mehr Eltern als Lehrer beim ARS ARTIUM. Manche bleiben auch wirklich die kompletten zehn Tage mit uns in der Natur, andere kommen morgens und fahren am Abend wieder. Es ist wirklich großartig, welche Bereitschaft und Unterstützung die Eltern hier leisten.

Vielen Dank Herr Hippe, für diesen detaillierten und aufschlussreichen Einblick ins ARS ARTIUM.

Instagram Facebook FSG-Podcast